M. Schürpf: Paul Senn, Fotoreporter

Titel
Paul Senn, Fotoreporter.


Herausgeber
Schürpf, Markus; Frehner, Matthias
Erschienen
Zürich 2007: Scheidegger & Spiess
Anzahl Seiten
238 S.
Preis
€ 50,00
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Christian Lüthi, Universitätsbibliothek Bern

Seit 1982 liegt der Nachlass des Reportagefotografen Paul Senn (1901–1953) im Kunstmuseum Bern. Senn hinterliess ein Werk von über 100 000 Fotos sowie Fotoreportagen, die er in mehr als 40 Zeitschriften veröffentlichte. Diese Bilder erreichten ein Massenpublikum und prägten vor dem Fernsehzeitalter die Bilder in den Köpfen von Schweizerinnen und Schweizern. Unter der Leitung des Fotohistorikers Markus Schürpf startete die Bernische Stiftung für Fotografie, Film und Video im Kunstmuseum Bern 2003 ein Erschliessungs- und Konservierungsprojekt für den Nachlass Senns. Zum Abschluss zeigte des Kunstmuseum 2007 eine umfangreiche Retrospektive und veröffentlichte dazu einen Sammelband, der einen Überblick über Senns Werk gibt und den neusten Stand der Erkenntnisse wiedergibt. Bei der Erschliessung kamen unbekannte Aufnahmen ans Tageslicht, wie zum Beispiel Farbdias, die Senn nach dem Zweiten Weltkrieg von verschiedenen Auslandreisen nach Hause brachte.

Paul Senn stammte aus einfachen Verhältnissen und absolvierte 1908–1917 seine Schulzeit in der Stadt Bern. Nach einer Lehre als Reklamezeichner und Retuscheur zog es ihn immer wieder ins europäische Ausland auf Reisen. 1924 begann er zu fotografieren, 1929 eröffnete er ein eigenes Grafik- und Werbeatelier in Bern und ab 1930 arbeitete er vorwiegend als freiberuflicher Fotoreporter. Seine Bilder mit Szenen von Arbeitslosen während der Krise der 1930er-Jahre oder zur Mobilmachung von 1939 sind zu wichtigen Zeugnissen dieser Zeit geworden. Er porträtierte nicht nur das Geschehen in der Schweiz, sondern auch im Ausland. Seine eindrücklichen Bilder aus Spanien während des Bürgerkrieges 1936–1939, aus Frankreich 1942 und 1944 oder aus zerbombten deutschen Städten 1946 sind weitere Schwerpunkte seines Schaffens. 1939 und 1946 reiste er zudem in die USA. Auch diese Bilder erschienen in Schweizer Zeitschriften. Angesichts seines Dranges nach Unabhängigkeit und seiner vielen Reisen ging er erst um 1948 eine feste Beziehung ein: Seine Lebensgefährtin Ida Marti stand ihm von nun an privat und beruflich zur Seite, sie betreute sein Büro und begleitete ihn auf Reisen. Als Senn 1953 an einem Krebsleiden starb, übernahm Marti seinen fotografischen Nachlass und bewahrte diesen für die Nachwelt auf.

Der Band umfasst nicht nur zahlreiche Bilder von Paul Senn, sondern auch Texte zu seinem Werk. Markus Schürpf verfasste ein Kapitel zur Biografie Senns, das auf neuen Erkenntnissen basiert. Er betont, dass die Rezeption des Werks von Paul Senn die Fotos aus dem Ausland bis um 1990 ausblendete. Zudem enthält die Publikation ein Kapitel Schürpfs zum Thema «Bauern und Arbeiter». Unter diesem Titel hatte Senn 1943 seinen einzigen Bildband publiziert, der ein Panorama von Bildern aus der ländlichen und proletarischen Schweiz vereinigte. Der Band passte bestens in die Kriegszeit, während der die gesellschaftlichen Spannungen angesichts der äusseren Bedrohung in den Hintergrund traten. In zwei weiteren Kapiteln analysiert Schürpf die Reportagen aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges sowie die Sozialreportagen, die Senn zu Heim- und Verdingkindern, Heimarbeiterinnen und weiteren sozialen Randgruppen der Schweiz publizierte. Ferner geht Nanni Baltzer dem Verhältnis von Paul Senn zu Italien nach, und Matthias Frehner präsentiert Paul Senns Farbfotografien aus den USA von 1946.

Der Journalist Bernhard Giger zieht in einem abschliessenden Text seine Gesamtbilanz zu Senns Schaffen. Für ihn bilden die Bilder der Mobilmachung vom 2. September 1939 den Höhepunkt des Werkes des Fotografen. Darin sind Menschen in der Stadt Bern in einer beklemmenden persönlichen und unsicheren politischen Situation festgehalten. Senn verbindet damit ein einschneidendes Ereignis der Weltgeschichte mit dem Alltag in der Schweiz. Der schön illustrierte und flüssig geschriebene Band ist nicht bloss ein Genuss für Fotointeressierte, er bietet auch Historikerinnen und Historikern, die sich mit den 1930er- und 1940er-Jahren beschäftigen, Material und Anregungen, um die damalige Zeit besser zu verstehen.

Zitierweise:
Christian Lüthi: Rezension zu: Schürpf, Markus; Frehner, Matthias (Hrsg.): Paul Senn, Fotoreporter. Zürich: Scheidegger & Spiess, 2007. 238 S., ill. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 70, Nr. 1, Bern 2008, S. 37f.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 70, Nr. 1, Bern 2008, S. 37f.

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